Candidate Centered Design: Das Talent als König im Bewerbungsprozess

Skalierbare Geschäftsmodelle, schlanke Prozesse und vor allem Schnelligkeit sind die Grundprinzipien der heutigen Wirtschaftswelt. Unter diesen Vorgaben wurden auch die Prozesse im Personalbereich in den letzten Jahren immer weiter in Richtung Standardisierung und Effizienz getrimmt. Wie sich der Bewerber in diesem Prozess fühlt, wird oft vernachlässigt, meint Ralf Freudenthal, Gründer der Innovationsagentur futurebirds aus Düsseldorf.

Der Bewerbungsprozess ist die Visitenkarte des Unternehmens. Auch hier gilt: Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance. Das beginnt schon auf der Website. Nicht selten sind die Informationen zu Job und Arbeitgeber knapp und unklar. Zu einem konkreten Ansprechpartner muss sich der Bewerber durchfragen, wird mit ellenlangen Fragebögen und mit einer unpraktischen Upload-Funktion getriezt. Das Ergebnis: teilweise über 50 Prozent Abbrüche im Bewerbungsprozess. Und damit ein großes ungenutztes Potenzial.

Hat sich der Bewerber von dem jeweiligen System nicht abschrecken lassen, folgt im Idealfall das erste Bewerbungsgespräch. Hier steht nicht selten die Selbstdarstellung des Unternehmens zu stark im Vordergrund. Auch das bleibt nicht unbemerkt: Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 glauben 65 Prozent aller Bewerber, dass die Unternehmen im Bewerbungsprozess flunkern. Standardisierte Fragen zur Person, zu Lücken im Lebenslauf, Stärken und Schwächen, lassen den Puls der Bewerber nicht steigen. Sie wecken kein Interesse, sind erwartbar und damit keine Herausforderung.


Wer sich auf heute auf den Bewerber und seine Bedürfnisse einlässt, gewinnt die Talente von morgen.

Ralf Freudenthal Founder futurebirds

Schwarzmalerei? Nein! Alles zu spät? Nein!

Wie kann mein Unternehmen im Bewerbungsprozess Eindruck hinterlassen? Oft fällt schon positiv auf, wenn nur wenige Dinge anders als in der breiten Masse gehandhabt werden. Grundsätzlich gilt : Wer sich auf heute auf den Bewerber und seine Bedürfnisse einlässt, gewinnt die Talente von morgen. Um den Prozess aus Sicht des Bewerbers zu denken, hält die agile Arbeitswelt geeignete Methoden parat. Eine davon ist Design Thinking, das Entwickeln von Lösungen aus den Bedürfnissen der Anwender heraus. Auf diesem Weg gelangt man zu den Fragen, die den Menschen wirklich interessieren: Was erwartet der Bewerber an Informationen in der Anzeige, was will er auf der Karriereseite der Website wissen? Welche Daten und Unterlagen muss er direkt bei Bewerbung liefern, welche erst später und wie sieht der einfachste Weg dafür aus?

Die Methode, sich über solche Fragen voll auf die Bedürfnisse und Wünsche der Kandidaten einzulassen, wird als „Candidate Centered Design“ bezeichnet – ein nutzerzentrierter Aufbau der kompletten „Bewerbungs-Reise“ des Kandidaten, der eine bestmögliche „User Experience“ ermöglicht. Manche Unternehmen haben diesen Kundenblick schon umgesetzt: Während das Anschreiben früher als Fleißarbeit zu jeder Bewerbung gehörte, verzichten sie bei bestimmten Bewerbergruppen auf diese Art der Selbstdarstellung. Andernorts werden Bewerbungen mit einem Klick oder direkt aus der Social-Media-App getestet. Auch Personalreferenten nutzen immer mehr Kommunikationskanäle dort, wo sich der Bewerber tummelt – sei es auf Xing, LinkedIn oder Facebook.

Der Bewerbungsprozess ist keine administrative Pflichtaufgabe, sondern aktives Beziehungsmanagement zum Kandidaten. Personalarbeit sollte es schaffen, sich wieder mit dem Menschen in Beziehung zu setzen – als Bewerber und später auch als Mitarbeiter. Dabei bauen digitale Kanäle Hürden ab und vereinfachen im besten Falle die Arbeit. In der neuen Arbeitswelt gilt: weniger Komplexität schafft mehr Raum für Begegnung mit Herz und Erfolg.

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