Paradigmenwechsel in der Markenführung

Unternehmen und Institutionen sehnen sich nach Einfachheit, Ordnung und Übersichtlichkeit. Vor allem, wenn es um die eigene Marke geht. In gewisser Hinsicht ist das verständlich, denn das Erfolgsgeheimnis von Marken hat viel mit Einfachheit zu tun: Identität, Selbstähnlichkeit, Konsistenz und Kohärenz. Doch um diese Einfachheit zu ermöglichen, werden heute im Hintergrund aufwändige Kommunikationskonzepte benötigt. Und das hat tiefgreifende Konsequenzen.

Der Autor ist Mitglied im IHK-Netzwerk Design to Business und Professor für Corporate Design an der Hochschule Düsseldorf. Sein Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch „Chaos und Ordnung, Einfachheit und Multidimensionalität im hyperdigitalisierten Kontext“. Foto: Hauserlacour

Einfachheit wird aktuell nicht nur als Erfolgsrezept für Unternehmensmarken verstanden. Und: Sie ist nicht nur für das Corporate Design zielführend, sondern geht wesentlich tiefer. Inzwischen betrifft sie auch die Gestaltung von Produkten und deren Bedienung. Gern zitiertes Beispiel im Endkundenmarkt (B2C-Markt) ist Apple. Ein eingängiges Corporate Design und eine konsequent umgesetzte Markenphilosophie stärken Identifikationsprozesse, erhöhen Sympathiewerte, ermöglichen Zeitgewinne und sorgen beim Endkunden für Orientierung, Sicherheit und Akzeptanz.

Ganz anders sieht dieses Szenario hingegen für Unternehmen aus, deren Kunden Unternehmen sind (B2B): Sie stehen vor der Aufgabe, unter hohem Wettbewerbsdruck eine Vielfalt an Produkten, Werkzeugen, Services und digitalem Support anbieten zu müssen.

Begleitet wird die damit einhergehende Verunsicherung auf der Ebene der Unternehmens- und Markenführung durch die veränderten Anforderungen im Vertrieb: Wer früher einmal ein einfaches Produkt verkaufte, auslieferte und infolgedessen den Kunden mit einem Wartungsvertrag langfristig an sich binden konnte, steht heute vor ganz neuen Herausforderungen. Sein Kunde nutzt vor der Kaufentscheidung zahlreiche digitale Vertriebskanäle, stellt automatisiert Vergleichsangebote zusammen, wünscht sich eine auf seine individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Lösung. Geht man als Anbieter darauf nicht ein, ist schnell ein Wettbewerber am Zug. Digitale Tools bieten den Einkäufern zahlreiche Möglichkeiten, aus gewachsenen Geschäftsbeziehungen auszubrechen und neue Anbieter zu generieren.


Ziel muss es sein, dem Vertrieb und den Kunden ein ganzheitliches System zu bieten, in dem sie sich orientieren, die Komplexität der Möglichkeiten verstehen und effektive Entscheidungen treffen können.


Heutige Kunden recherchieren, evaluieren, selektieren und teilen Erfahrungen mit anderen. Der vormals lineare Weg der Kaufentscheidung wird komplexer und verlangt von Unternehmen neue Ansätze im Vertrieb. Und gerade im internationalen Kontext geht die Verantwortlichkeit weg von Individuen, mit denen Vertriebsteams gewachsene Beziehungen pflegten, hin zu verschiedenen Personen in abteilungsübergreifenden Strukturen. Das umfasst bisweilen sogar externe Meinungsbildner, wenn man die Beeinflussung durch Produktbewertungsportale und Social Media als Teil des Kaufentscheidungsprozesses in Betracht zieht.

Ein attraktives, flexibles und im Hinblick auf das Prinzip der Einfachheit auf weitere Bereiche wie die Gestaltung von Produkten ausgedehntes Corporate Design ist heute eine Standardanforderung für eine erfolgreiche Marke. Ziel muss es sein, dem Vertrieb und den Kunden ein ganzheitliches System zu bieten, in dem sie sich orientieren, die Komplexität der Möglichkeiten verstehen und effektive Entscheidungen treffen können. Vereinfachung – also die nötige Reduktion von Komplexität – findet an dieser Stelle durch intelligente Filter, Gestaltungs- und Redaktionstools statt. Praktisch laufen diese neuen Rahmenbedingungen auf einen Paradigmenwechsel bei der Entwicklung eines Corporate Designs und einer Markenstrategie hinaus.

So gesehen geht es bei Marken, ihrer Kommunikation und ihrem Management nach wie vor um Einfachheit. Ziel ist allerdings nicht lediglich ein einheitlicher Auftritt der Marke. Sondern vor allem geht es darum, dass der Kunde einfach an die für ihn relevanten Informationen zu Produktlösungen kommen kann. Ein Beispiel: Die Website eines B2B-Unternehmens bietet die Möglichkeit, alle benötigten Informationen für eine individuelle Lösung einfach aufzufinden, zu kombinieren beziehungsweise zu konfigurieren und – wenn alle Aspekte passen – in Auftrag zu geben. Das bedeutet praktisch eine Optimierung im Verkauf (automatisierte Beratung), Einsparungen in der Kommunikation (ein individuelles PDF statt dicker Kataloge) und mehr Effizienz in der Produktion (Anfertigung eines kundenspezifischen Produkts). Marke, Management, Kommunikation, Information und Fertigung kommen so auf eine neue Art zusammen und tragen zu einer neuen Qualität der Wertschöpfung bei.

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